Vorwort zu “Das Kerygma Jesu”
Die weitere Forschung an der Thematik dieses Buches hat dazu geführt, daß noch Revisionen vorgenommen werden mußten. Die “Postkarte”, auf die wohl die tatsächlich erweisbaren Worte Jesu passen könnten (wie der Neutestamentler Rudolf Bultmann schon vor Jahrzehnten behauptet hat), ist in erreichbare Nähe gerückt. Ich mußte jedoch immer wieder feststellen, wie sehr subjektive Meinungen, Verpflichtungen Dogmen gegenüber und auch persönliches Wohlwollen in die historisch-kritische Erforschung des Neuen Testamentes eingreifen.
In jüngster Zeit ist die Diskussion durch die Veröffentlichungen des Neutestamentlers Gerd Lüdemann wieder heftig geworden. In den Kontroversen werden jedoch in der Tat “abgründige Unwissenheit der Kritiker im geschichtlichen Bereich deutlich, gleichzeitig aber auch ein Auseinanderbrechen von Frömmigkeit und Wissenschaft, das einer Schizophrenie gleichkommt” (so Lüdemann in “Ketzer. Die andere Seite des frühen Christentums”, 1995, S.8).
In aller Regel wird die Tatsache, daß es Kirche vor ihrem “Neuen Testament” gegeben hat, unterschätzt oder gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Dieser Teil der Bibel ist ein Produkt kirchlicher Entwicklung und Dogmenbildung. In den Anmerkungen zu den deutschen Texten soll dies immer wieder deutlich werden. Das Neue Testament “ist die Sammlung der siegreichen Partei, die nach altbewährtem Rezept die Dokumente der unterlegenen Gruppe ausgeschieden, unterdrückt und schließlich mitsamt ihren Verteidigern ausgerottet hat” (Lüdemann a.a.O. S.9).
Ich habe mich zur 2.Auflage entschlossen, da ich in der Botschaft (mittlerweile ein ganz moderner Begriff) dieses uns eigentlich unbekannten Jesus eine besondere Intensität des Jas zum Seindürfen eines jeden Menschen erkennen kann, die ihre Wurzel in ganz alten Traditionen hat. Diese lassen sich auch z.T. im Alten Testament wiederfinden, auch wenn zu diesem Teil der sogenannten “Heiligen Schrift” [sie ist, ”pointiert gesagt, Menschenwort (und nicht Gotteswort)”, ebd.] das Gleiche gesagt werden kann im Bezug auf die jüdische Religion, wie zuvor zum Neuen Testament. Meine Rekonstruktion stellt, wie alle solche Unternehmungen, kein wissenschaftlich bis ins letzte beweisbare Produkt dar. Doch: so könnte es gewesen sein. Andere mögen noch mehr streichen wollen, andere mögen entsetzt sein über den hier dargestellten Rest und sich mehr heranholen wollen. Die Texte mögen zum Nachdenken anregen und zum Erarbeiten eigener Positionen.
Ich habe mich außerdem entschlossen, die Kerygma-Texte durch eine Art “Einleitung in die Theologie des Neuen Testamentes” ergänzen zu lassen, um gerade auch den Laien die Informationen zukommen zu lassen, die zum Verständnis der geschichtlichen Entwicklung der ursprünglichen Texte in die heutige kirchliche Fassung des Neuen Testaments hinein beitragen können. Walter Alfred Siebel hat diese Aufgabe angenommen und beschränkt sich bei ihr auf die wesentlichen Elemente, da ja seit der 1.Auflage mehrere kritische Veröffentlichungen (v.a. von Gerd Lüdemann) erschienen sind, auf die auch hingewiesen wird.
Wiesbaden, 09.04.1996
Dr.med.Thomas Winkler